Geschichte der Pfarrei Oberkirch

 

1. Die Entwicklung der Pfarrei

1.1 Erstmals wird Oberkirch in einer Urkunde von 1036 erwähnt.

Darin übergibt Ulrich der Reiche, ein Graf des Heiligen Römischen Reiches, die obere Kirche dem Gotteshaus Beromünster. Sein Sohn Ulrich war Probst des dortigen Stiftes.

(vgl.  https://www.oberkirch.ch/geschichte/43354)

Ausschnitt aus dieser Urkunde

«…et quod visus sum habere in Surse, id est eccl(es)iam sup(er)iorem cum curte…»
(«…und was ich etwa in Sursee haben mag, d.h. die obere Kirche mit dem Hofe…»)

Das will nicht heissen, dass der Ort nicht noch älter ist, denn die Ersterwähnung setzt doch schon eine gewisse Entwicklung voraus. Die noch guterhaltenen Grundmauern der 1975 abgebrochenen Kirche (die vierte auf dem gleichen Platz) deuten nach Struktur und Stärke der Beschaffenheit des Bodens laut Befund der Archäologen auf ein vorkarolingisches Gotteshaus.

Im Verlauf des 13. und 14. Jahrhunderts entwickelte sich Oberkirch zum Dekanat und wurde damit zum Zentrum einer Grosspfarrei, die den ganzen Surseer Boden, das ganze Surental und das westliche Ufer des Sempachersees umfasste. Die Gründung des Städtchen Sursee (1256) führte zur Herauslösung des eigentlichen Stadtgebietes und seiner unmittelbaren Umgebung aus der Mutterpfarrei Oberkirch. Oberkirch blieb jedoch bis zu ihrer Aufhebung im Jahre 1809 eine Pfarrei von erstaunlichem Umfang.

Glauser/Siegrist, Die Luzerner Pfarreien und Landvogteien
https://pfarrei-oberkirch.ch/?p=60899

1.2 Von der Probstei Beromünster zum Kloster St. Urban bis zu seiner Auflösung

Seit dem 13. Jahrhundert gehörte das Lehen den Habsburgern, die den Kirchenschatz und das Lehen von Oberkirch 1376 dem Kloster St. Urban übertrugen. Damit verbunden war auch das Kollaturrecht (vgl. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009623/2009-11-24/). Ein Verwalter des Klosters (Kurator) setzte den Pfarrer, den Sigrist und den Kirchmeier ein und überwachte auch die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Pfarrei.

Mit der Stadtgründung von Sursee 1256 verlagerte sich die Verwaltung der Pfarrei Oberkirch nach und nach ins neue wirtschaftliche Zentrum. Der Kurator residierte fortan im St. Urbanhof.

Die Pfarrei Oberkirch blieb Dekanat, bis sie 1809 in der Mediationszeit vom neu organisierten Kanton aufgelöst wurde. (vgl. https://www.oberkirch.ch/geschichte/43372 )

Kloster St. Urban 1676

Im Unterschied zu den anderen Stadtorten dominierten während der Mediationszeit in der neuen Regierung des Kantons Luzern die Vertreter der Landschaft, denen es im kirchenpolitischen Bereich an diplomatischem Geschick fehlte.

Im Konkordat von 1806 zwischen dem Bischof von Konstanz und dem Kanton erhielt dieser beträchtliche Rechte in der Kirchenpolitik (z. B. Aufhebung von Pfarreien). 1828 kam der Kanton zum neu konstituierten Bistum Basel. 1807-1812 wurden neue Pfarreien geschaffen und ihre Grenzen neu definiert (sog. Abkurung).

Die Pfarreien mussten Kirchenräte und einen Kirchmeier bestellen. 1842 erfolgte die staatliche Anerkennung der Kirchgemeinden. Von all dem profitierte die aufgelöste Pfarrei Oberkirch nicht trotz vielerlei Bemühungen der Pfarreiangehörigen gemeinsam mit dem Abt von St. Urban, dem sie kirchenrechtlich immer noch unterstand.

Als der Kanton Luzern nach den Sonderbundskriegen 1848 das Koster St. Urban auflöste, verblieben ihm nebst den Rechten auch die Pflichten der Abtei und damit auch die Kollatur der Pfarrei Oberkirch. In dieser Stellung war die Pfarrei ein Unikum im Kanton.

2. Eine Pfarrkirche in einer Pfarrei, die rechtlich erst wieder eine werden muss

So entstand die groteske Situation, dass in Oberkirch eine Pfarrkirche stand mit dem Kanton als Kurator, die aber offiziell keinen Pfarrer hatte. Das religiöse Leben wurde in der Pfarrkirche weitergelebt, zuerst mit einem Kaplan von Mariazell aus, dann mit einem Pfarrer als Verweser. Rechtlich war Oberkirch noch keine Pfarrei; aus seelsorglicher Sicht taten sowohl der Bischof wie auch der Kanton, als wäre es eine.

Nach und nach versuchte der Kanton seine Verpflichtungen gegenüber „seiner Pfarrei“ abzugeben. Aber um verhandeln zu können, brauchte es eine Kirchenverwaltung. Erstmals wurde 1911 eine solche gewählt, aber es kam nichts zustande. Für die rechtliche Lösung fehlte das Interesse.

Die Ablösung des Kollaturrechts vom Kanton und die Schaffung einer eigenen Kirchgemeinde drängten sich mit der Zeit von beiden Seiten her immer mehr auf. Die Kirche war zu klein geworden und die stark frequentierte Kantonsstrasse störte den Gottesdienst. Dass der Kanton eine neue Kirche baue, konnte nicht erwartet werden.

Kirche mit Pfarrhaus, Totenkapelle und Schulhaus Surenegg

2.1 Pfarrer Huser (Pfarrer in Oberkirch 1947-1954) schuf die Voraussetzungen zur Lösung dieser Probleme

Pfarrer Luthiger (Pfarrer in Oberkirch 1954-1972) packte an und drängte auf die Verwirklichung der hängigen Projekte

(Pfarrer Huser, links, Pfarrer Luthiger, rechts)

Am 21. März 1948 versammelten sich die Bürger in der Pfarrkirche und beschlossen die Konstituierung einer Kirchgemeinde Oberkirch und wählten einen Kirchenrat. Eine Kirchensteuer wurde eingeführt. Es dauerte aber bis zum 10. April 1954, bis die Verhandlungen über die Ablösung der Pfarrei mit einer Offerte des Kantons begannen.

Pfarrer Luthiger startete in grossem Stil, Geld zu sammeln für den Bau einer neuen Pfarrkirche mit bischöflichem Segen von „Franciscus von Streng“.

Ein Opfer des Verkehrs, Zeitungsausschnitt Titelblatt

Ein Opfer des Verkehrs

Ein Opfer des Verkehrs, Zeitungsausschnitt

Bettelbrief für eine neue Kirche

Am 10. April 1954 begannen mit dem Kanton die Verhandlungen über die Ablösung der Pfarrei vom Staat. Dieser machte ein Angebot von maximal 150‘000 Franken. Damit war der Kirchenrat, mit Pfarrer Luthiger als Kirchenratspräsident, bei weitem nicht einverstanden. Unterstützt vom versierten Anwalt Walter Hochstrasser aus Sursee kam es an der Sitzung vom 4. November 1963 mit Erziehungsdirektor Dr. Hans Rogger zum Ablösungsvertrag.

Dieser wurde am 15. März 1963 von der Kirchgemeindeversammlung und am 17. Dezember 1963 vom Grossen Rat genehmigt: Die Kirchgemeinde übernahm endgültig alle Verpflichtungen der Kollatur und erhielt dafür eine Ablösungssumme von Fr. 822.000.

2.2 Grenzen der Pfarrei Oberkirch

Die Grenzen von Oberkirch bildlich Dargestellt auf einer Karte

Abschrift Urkunde, Erweiterung der Pfarrei

Noch zweimal wurden die Pfarreigrenzen bereinigt. Am 14. März 1959 wurden vom Bischof von Basel die Höfe Seehüsern, Feld, Münigen, Unter- & Oberhof, Stegersmatt (Stägersmatt), Wissrüti und Ifflikon der Pfarrei Oberkirch zugeschlagen.

Am 25. Oktober 1973 wurde das Gebiet südöstlich von Sursee innerhalb der Gemeindegrenze von Oberkirch vom Sempachersee bis zum Bahntrasse der SBB von der Synode des Kantons Luzern der Kirchgemeinde Oberkirch zugeteilt.

3. Projekte und Auseinandersetzungen zum Bau einer neuen Kirche und der Erweiterung des Schulhauses

Mit der Entwicklung der Gemeinde Oberkirch (die Volkszählung von 1950 ergab 1166 Einwohnerinnen und Einwohner) wurde auch das Dorfschulhaus zu klein.

(Flugaufnahme der Gemeinde Oberkirch 1959) Link: 1959 Zentrum Oberkirch

Zur Frage, wo und wie die Erweiterung zu realisieren sei, entstand ab 1954 eine langjährige, teils hitzige Diskussion.

 

In der Urnenabstimmung vom 6. Juli 1958 wurde dem Schulhausneubau mit Turnhalle mit 128 Ja gegen 95 Nein zugestimmt. Pfarrer Luthiger schwebte die Idee vor, ein neues Schulhaus gemeinsam mit einer neuen Kirche zu bauen. Er mischte sich als Präsident des Kirchenrates engagiert in die Diskussion ein.

Urnenabstimmung

Urnenabstimmung

Nach der Abgabe der Kollatur an die Kirchgemeinde Oberkirch und der Bezahlung einer beträchtlichen Summe wurde der Bau einer neuen Kirche mit aller Kraft vorangetrieben. Langsam fasste die Idee Fuss, eine Gesamtlösung Kirche-Schulhaus (als Gemeindezentrum) zu realisieren. Der bekannte Kirchenarchitekt Fritz Metzger (https://www.oberkirch.ch/geschichte/44702) erhielt den Auftrag, ein Vorprojekt zu schaffen. 1965 wurde in einer Urnenabstimmung beschlossen, den Neubau nach dem Projekt Metzger zu realisieren.

Leserbriefe

4. Das neue Gemeindezentrum

4.1 Das Baugelände

Es brauchte ein geniales Vorstellungvermögen, wenn Architekt Metzger auf diesem Grund ein Gemeindezentrum bauen wollte. Der Baugrund gehörte zudem verschiedenen Besitzern: Gemeinde, Kirchgemeinde, Gebrüder Stocker. Und verschiedene Gebäude müssen weichen.

Luftbild vom 11. 08. 1959

4.2 Der Baubeschluss der neuen Kirche

Am 25. Juni 1965 lag das Projekt für den Bau der neuen Kirche der Kirchgemeindeversammlung zum Beschluss vor. Es wurde den 59 Kirchgenössigen und einigen Gästen aus der Pfarrei Sursee erläutert. Schliesslich wurde das Projekt angenommen und lag nun zur Verwirklichung bereit.

Vorlage für den Bau der Kirche

Grundriss der Kirche mit Nebengebäude

Gesamtanlage: Kirche und Schulhaus, Kosten und Antrag für die Kirchgemeindeversammlung

4.3 Grundsteinlegung und Baubeginn

Der erste Spatenstich wurde zugleich mit jenem vom Schulhaus an Mariä Lichtmess 1967 vollzogen. Die Grundsteinlegung für die neue Kirche fand am 23. April statt.

Bischof von Streng, Pfarrer Luthiger, Albert Vitali, Baupolier

4.4 Fotogalerie: Aufbau der Kirche in verschiedenen Etappen

5. Das Werk ist vollendet

Am 22. Juni 1968 weihte Anton Hänggi, Bischof von Basel die neue Kirche. 

Die neue Kirche

Der Seiteneingang

«Der Turm, das fernwirkende Wahrzeichen, ist zugleich Tor der Anlage und mit zweiter Wendung zur Kirchenvorhalle und schliesslich zum Portal. Eine gewollte Entwicklung, ein Weg mit verschiedenen Etappen, mündend schliesslich ins grosse Oval des Kirchenraumes»

Der Altarraum

Taufstein, Ambo Kreuz

Taufstein, Altar, Orgel

Der Architekt zum Kirchenbau

6. Eine Pfarrei – zwei Kirchen

In den Diskussionen um eine neue Pfarrkirche wurde argumentiert, die alte Kirche sei zu klein und sie müsse abgerissen werden. Durch die Verbreiterung der Dorfstrasse würden die Verhältnisse bei der Kirche immer enger.

Die Kirchgemeindeversammlung vom 14. April 1968 beschloss mit 45 Anwesenden ihren Abbruch samt dem Turm und dem alten Pfarrhaus. Sie sei nicht erhaltenswert.

 

Damit waren nicht alle einverstanden und es eskalierte zu einem siebenjährigen Streit unter Kunstverständigen, Denkmalpflegern und den verschiedenen Instanzen. Ein oft gehässiger Meinungsaustausch fand in der Presse statt, ohne Verständnis für die praktischen Probleme in Oberkirch.

Die alte Kirche kurz vor dem endgültigen Abbruch

Die alte Kirche, bedrängt von der verbreiterten
Luzernstrasse

Oberkirch musste das Problem konkret lösen. So wurde die alte Kirche in Etappen abgerissen. Zuerst musste am 24./25. Mai 1974 der Anbau aus dem Jahre 1903 dran glauben, am 2. Mai liess der Gemeinderat auch das Schiff abreissen. Anfangs Januar 1975 kam das Erziehungsdepartement in einer Aussprache mit Kirchenrat und Gemeinderat zum Schluss, die Bedeutung des Turmes als Kunstdenkmal sei durch den Abbruch des Kirchenschiffs geschmälert worden und liess seinen Abbruch zu.

7. Verwendetes Material und Quellen

Der grösste Teil dieser Darstellung war irgendwo in der Pfarrei schon vorhanden, sei es verstreut in der Homepage der Pfarrei, sei es in Broschüren zum 50. Jubiläum der neuen Pfarrkirche, sei es im Buch „Oberkirch, gestern, heute, morgen“ zur 950-Jahrfeier von Oberkirch. Ich habe es zusammengetragen und vielfach übernommen. Markus Bühler-Muri und Anton Häfliger-Estermann haben mich dabei unterstützt.

Die wichtigsten Quellen:

Bucher, Peter, Gemeindechronik Oberkirch, 1975 (wichtigste Quelle)

Johann Luthiger, Pfarrei-Chronik Oberkirch, 1947-1972 (Handschrift im Archiv der Pfarrei)

HLS: Waltraut Hörsch, St. Urban, Heidi Bossard-Borner 4.1.2; Von der Mediation zum Sonderbund,  4.1.3 Luzern im Bundesstaat von 1848, Marlis Betschart 5.4.1 Katholische Kirche und religiöses Leben

Glauser/Siegrist, Die Luzerner Pfarreien und Landvogteien, Luzern/München 1977

Heidi Bossard-Borner, Kleine Verfassungsgeschichte des Kantons Luzern, https://silo.tips/download/heidi-bossard-borner-kleine-verfassungsgeschichte-des-kantons-luzern

Nr. 185, Gesetz betreffend Abtretung von Kollaturrechten an die Kirchgemeinden vom 26. Sept. 1872

 

Peter Inauen